Plötzlich …

„Und plötzlich ist nichts mehr wie es war“

Der Titel fällt sozusagen mit der Tür ins Haus: „Und plötzlich ist nichts mehr wie es war“. Gemeint ist ein Verkehrsunfall mit Schwerverletzten oder sogar Toten. Eine folgenschwere Naturkatastrophe. Ein Verbrechen. Um solche Schicksalsschläge und die Möglichkeiten von erster Hilfe für die Seele dreht sich das Buch von Pfarrer Albi Roebke, Leiter der Notfallseelsorge Bonn/Rhein-Sieg, das er zusammen mit der Journalistin Lisa Harmann geschrieben hat. Die emotionale Akut-Intervention ist das Thema des Buches, das jetzt im renommierten Fischer-Verlag erscheint.

Das Leben gerät aus den Fugen. Von jetzt auf gleich. Davon berichtet der evangelische Pfarrer, auch aus eigener Erfahrung. Schließlich verlor er durch einen Autounfall selbst Bruder und beide Eltern. Dank entsprechender Einverständnisse erfahren die Leser*innen viele weitere tragische Geschichten. Wie kommt also das Wort Hoffnung in den Untertitel? Pfarrer Roebke, seit 25 Jahren in der Notfallseelsorge im Einsatz – bei der Flutkatastrophe, beim Einsturz des Kölner Stadtarchivs, im Hurrikan-Gebiet in den USA: „Die Schicksale, die erzählt werden, sind sehr heftig“, die Anlässe „exorbitant“. Zugleich betont der Pfarrer aus dem Evangelischen Kirchenkreis An Sieg und Rhein: „Andererseits ist in dem Buch so viel zu lesen über menschliche Stärke und Solidarität. Ich hoffe, das überwiegt.“

Foto von Pfarrer Albi Roebke: Wolfgang Thielmann

Das Buch ist ein starkes Plädoyer für Entscheidungshoheit, Wiedergewinnung von Selbstwirksamkeit und für menschliche Würde. Ein Beispiel: „Wenn der Vater eines kleinen Jungen tödlich verunfallt, dann ist nichts mehr normal.“ Wünscht sich nun das Kind, einfach sofort wieder zur Schule zu gehen, dann gelte es, genau diesen Wunsch zu erfüllen. „Ich verstehe jede Grundschullehrerin, die Angst davor hat, wie sie dem Jungen begegnen soll.“ Aus Erfahrung weiß Roebke, dass Menschen oft denken, „das ist so schlimm, das kann doch jetzt nicht richtig sein“. Mitten in der Nacht eine Pizza mit Salami auftreiben. Erst einmal aufräumen. Zunächst einfach duschen gehen. Es gibt keine „komischen“ Reaktionen, sondern nur „normale Reaktionen auf ein unnormales Ereignis“, macht Roebke klar. Deshalb: Am Unterricht teilnehmen – das ist das „Geschenk“, das die Lehrerin dem Jungen machen kann. Es ist sein Wunsch; er braucht das.

Der Band funktioniert als Ratgeber oder auch Werkbuch für Menschen wie diese Lehrerin und andere, die Betroffenen begegnen – Ärzt*innen, Rettungssanitäter*innen, Menschen in der Ausbildung zu ehrenamtlichen Notfallseelsorgenden. Aber nicht nur.

Vielmehr ist das Buch ein Mutmacher für alle Menschen, die selbst schon einmal einen Schicksalsschlag erlitten oder in Familie oder Freundeskreis mitbekommen haben. Wie gewinnt man langsam wieder Leichtigkeit im Leben? Auch darum dreht sich das Buch. Roebke schreibt: „Das Leben geht nach dem Schicksalsschlag weiter, sehr verändert natürlich, aber dennoch.“

Religion kommt bei Einsätzen nur auf Wunsch ins Spiel, etwa in Form der Aussegnung eines Toten. Für die prinzipielle Verortung verweist Albi Roebke auf die biblische Geschichte von den Emmausjüngern, die enttäuscht von Kreuzigung und leerem Grab zunächst gar nicht bemerken, wer ihr Weggefährte ist. „Sie laden ihn zum Essen ein – ein Stück Normalität in der gefühlt größten Tragödie.“ Erst als er das Brot bricht, erkennen sie in ihm Jesus Christus, „der einfach mitgeht und erklärt und erst dadurch Heilung möglich macht“.

Verschwiegenheit ist auch in der Notfallseelsorge selbstverständlich. Über die Einwilligung von Betroffenen hinaus wurden teils auch Namen und Orte geändert, um Privatsphären zu schützen. Dass trotz dieses Wissens der Eindruck entstehen könnte, es würde aus Einsätzen berichtet, beschäftigt Albi Roebke sehr. Dagegen muss man wissen, dass nur Fälle geschildert werden, bei denen Betroffene eine öffentliche Botschaft wünschen, ohne selbst „vor die Kamera zu treten“ – sie legen ihr Anliegen in das Buch des Pfarrers.

Notfallseelsorge ist Profi-Hilfe in den ersten 24 Stunden. Nun ist aber im Buch auch von darüber hinaus gehender Hilfe die Rede, ein zweiter Aspekt, zu dem Roebke unbedingt Stellung bezieht. Dabei geht es – zusammen mit dem katholischen Notfallseelsorge-Koordinator Pater Dr. Jürgen Langer – um die „Bonner Linie“. Sie besagt: Fehlt Anschlusshilfe, dann springen die beiden Seelsorger ausnahmsweise in die Bresche. Genau genommen nicht (mehr) in ihrer Funktion als Notfallseelsorger in der lila Jacke, sondern nur als einfache Seelsorger. Lücken in der weiteren Versorgung gehören zu den Gründen. Angehörige von Tätern beispielsweise „fallen durchs Raster“, so Roebke.

Albi Roebke / Lisa Harmann: Und plötzlich ist nichts mehr wie es war. Ein Notfallseelsorger über Schicksalsschläge und Hoffnung“. Verlag Fischer, 256 Seiten, Paperback 18 Euro, E-Book 16,99 Euro

Lesung und Gespräch: Pfarrer Albi Roebke ist am Mittwoch, 1. Oktober, 19 Uhr, zu Gast im Kirchenpavillon, Kaiserplatz 1a, 53113 Bonn. Interessierte erwartet ein Abend über „seelische Soforthilfe, Resilienz, Alltag und Krisen – berührend, nachdenklich, stärkend“. Die Einladung kommt vom Evangelischen Forum Bonn.

Jubiläum: Die Notfallhilfe Bonn/Rhein-Sieg feiert ihr 25-jähriges Bestehen – in einem Festgottesdienst am 23. September, 18 Uhr, in St. Josef in Bonn-Beuel. In dem Gottesdienst werden auch neu ausgebildete ehrenamtliche Notfallseelsorgende in ihren Dienst entsendet.

LINKS
https://www.fischerverlage.de/buch/albi-roebke-und-ploetzlich-ist-nichts-mehr-wie-es-war-9783758700217
Video: https://redstorage.ekir.de/f/87c6b62d2f81477fae1b/?dl=1
https://www.notfallseelsorge-bonn-rhein-sieg.de


Evangelischer Kirchenkreis An Sieg und Rhein
Pressemitteilung Nr. 078 vom 19. September ’25 um 12:46 h

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